Elbrus – Dach Europas

Lang, lang ist’s her. Um die Jahrtausendwende war der Elbrus ein beliebter Gipfel – immerhin gehört er zu den Seven Summits. Beiliegender Artikel erschien im Bergsteiger 11/2003
Welches ist der höchste Gipfel Europas? Nicht wie viele meinen, der Mont Blanc (der ist der höchste Gipfel der Alpen), sondern der Elbrus im russischen Kaukasus. Mit 5.642m ist er sogar nochmals deutlich höher und das ist sicher auch ein Grund dafür, dass er von „westlichen“ Bergsteigern relativ häufig bestiegen wird.

Kurz vor Sonnenaufgang – noch liegen über 1.500 Höhenmeter vor der Gruppe

Ausgangspunkt für eine Elbrusbesteigung sind die „Botschki Container“. Erstaunlich komfortabel, da beheizt, verbringt man hier die letzt Nacht vor dem „Gipfelsturm“. Die Botschki Container erreicht man problemlos in einer guten Stunde von der Bergstation der Mir Seilbahn. Allerdings geht es von hier nicht ganz so bequem weiter. Denn knapp 2.000 Höhenmeter beträgt die Gipfeletappe. Bereits im Schein der Stirnlampen brechen wir auf, folgen im Dunkeln den Ratrack Spuren und sind um jeden Höhenmeter froh, den wir bis Sonnenaufgang hinter uns bringen können. Im Schatten der Dämmerung erkennen wir linker Hand die bereits vor vielen Jahren abgebrannte Prijut 11 Hütte. Zwar wäre von hier aus der Anstieg eine gute Stunde kürzer, aber der Komfort der beheizten Botschki Container ist nicht zu verachten. Durch die eisigen Winde der letzten Wochen sind die Gletscher und Flanken des Elbrus blankgefegt, bereits im wenig geneigten Gelände treffen wir auf Eispassagen, an denen die Harscheisen haltlos scharren. Nur bis zu den Pastukhov Felsen auf 4.800 Meter Höhe sei die Route in diesem Winter mit Ski zu begehen, haben uns russische Freunde informiert. Wir lassen und überraschen und suchen im Schein der Stirnlampen den Weg zwischen den immer größer werdenden Eis- und Geröllinseln. Nach zwei Stunden treffen uns die ersten Sonnenstrahlen.

Der Gipfel ist noch weit, es ziehen bereits die ersten Wolken auf.

Leider nicht für lange, denn aus dem Süden, aus Georgien, schiebt sich eine dunkle Wolkenfront heran, die für den Tag nichts gutes verspricht. Im Kaukasus kann man seine Tourenplanung nicht, wie gewohnt, auf den täglichen Wetterbericht aufbauen. Und natürlich genauso wenig auf einen Lawinenlagebericht. Ständige Luftdruckbeobachtungen geben einen groben Überblick, die aktuelle Wetterlage holt man sich am besten aus dem Internet. Doch viele für uns gewohnten Tätigkeiten erweisen sich im heutigen Russland als schwierig und kompliziert. Die beste Methode, einen „Internetzugang“ zu bekommen, ist vom Postamt in Terskol zu Hause anzurufen und sich die Internetinformationen durchgeben zu lassen. Und das ist durch Sprach- und Schriftbarrieren sowie die antiquierte Vermittlungstechnik auf dem Postamt schon kompliziert genug.

Allerdings hat dieses „neue“ Russland für Reisende auch einen großen Charme. Die Bevölkerung ist freundlich, die Verpflegung (aus dem Land) lässt keine Wünsche offen, marode Straßen, uralte Busse und Pkw geben aber einen Eindruck vom Glanz und Prunk der ehemaligen Sowjetunion. Denn hier im Kaukasus machten Funktionäre und besser Gestellte Urlaub. Mehrstöckige Hotelkomplexe und Liftanlagen bis auf eine Höhe von über 4.000 Metern brauchten in den 60er/70er Jahren den Vergleich mit den besten Skigebieten der Alpen nicht zu scheuen. Vielleicht knapp die Hälfte der Liftanlagen ist heute noch in Betrieb, an den großen Hotels bröckelt die Fassade, Warmwasser und Heizung sind eher Glücksache. Während uns die ersten Sonnenstrahlen auf über 4.400 Metern Höhe wärmen, studieren wir aus nächster Nähe die Anstiegsroute. Die (aus der Ferne betrachtet) vermeintlich kurzen Geröllpassagen entpuppen sich als wüste Moränenlandschaft und wir entschließen uns, bereits auf 4.600 Meter die Ski zu deponieren. Vorsichtshalber markieren wir das Skidepot mit dem GPS Gerät, dann wandern wir im Gänsemarsch weiter.

Noch ist das Wetter gut – links hinten sieht man die Ushba (4737m), den höchste Gipfel Swanetiens.

Von den Pastukhov Felsen ziehen sich ideale Skihänge mit ca. 35° Neigung zu den beiden Elbrusgipfeln. Ideal, wenn Schnee das eisenharte Gletschereis bedeckt. Aber in diesem Winter sei der Schnee zu kalt gewesen, als dass er sich auf dem Eis hätte verfestigen können. So bleibt uns nichts übrig, als mühsam und nicht ungefährlich den Weg mit Steigeisen fortzusetzen. Nur wenige Millimeter dringen die Zacken ein, der Dorn des Eispickels ist nur zu gebrauchen, wenn man ihn rechtwinklig zum Eis einsetzt oder sich kleine eingefrorene Felsstücke zum Abstützen aussucht. Der Blankeishang reicht bis über 5.000 Meter und so bekommen wir durch unsere schlechte Akklimatisierung die Anstrengung doppelt zu spüren. Die mangelhafte Akklimatisierung ist auch kein Wunder – zwar sind wir schon seit einer Woche mit Ski im Kaukasus unterwegs, aber keiner der Gipfel im Umfeld kann dem Elbrus nur annähernd das Wasser reichen. Um gut 2.000 Meter überragt er die höchsten „Akklimatisationsgipfel“, die diesen abfälligen Namen überhaupt nicht verdienen. Denn die Skitourenmöglichkeiten brauchen den Vergleich mit „unseren“ besten Skitourengebieten in den Alpen nicht zu scheuen. Mit dem großen Unterschied, dass man nur selten auf andere Tourengeher und Spuren trifft. Zu riesig ist das Gebiet, zu vielfältig sind die Möglichkeiten. Während uns bereits die ersten Wolkenfetzen streifen, stapfen wir gleichförmig weiter. Vulkanberge haben nämlich den Nachteil, dass die Flanken sehr ebenmäßig und die Aufstiege deshalb sehr monoton sind.

Zwischen den beiden Elbrusgipfeln im Sattel auf bereits 5.200 Metern Höhe steht eine kleine Schutzhütte, oder besser Schmutzhütte. Sie hat den eisigen Stürmen nicht standgehalten und wird nun offensichtlich als dachfreie Toilette mit Gipfelblick verwendet. Für eine längere Rast bleibt uns zum einen wegen des schlechten Wetters wenig Zeit zum andern wegen der beginnenden Kopfschmerzen und der unappetitlichen Aussicht wenig Lust. Noch 400 Meter zum Gipfel, zum Glück nicht mehr über blankes Eis sondern über windgeformten Harsch. Vom Ergebnis bleibt das zwar das Gleiche (= nicht Skitourengeeignet), aber für die Nerven und die angeschlagene Konzentration ist es ein kleiner Lichtblick. Nach sieben Stunden Aufstieg und pünktlich zur Gipfelankunft reduziert sich die Sicht gegen Null, ein kleines Kreuz markiert zweifelsfrei den höchsten Punkt. Normalerweise liegt einer der großen Vorteile bei einer Skitour darin, dass man mit viel Vergnügen und in wesentlich kürzerer Zeit zum Ausgangspunkt zurückkehrt. Nicht so am Elbrus.

Das Eis ist im Abstieg noch genauso hart wie im Aufstieg und wer schon mal in Eckensteintechnik (mit dem Gesicht zum Tal) eine Gletscherzunge abgestiegen ist, der kann sich unser zweifelhaftes Vergnügen bestens vorstellen. Im eisigen Sturm, müde und mit pochenden Schädeln entschließen wir uns für eine medizinisch indizierte Ablassvariante: Der mit den geringsten Kopfschmerzen lässt die beiden stärker leidenden über eine Eisschraube jeweils 60 Meter ab, um dann ungesichert in besagter Eckensteintechnik nachzusteigen. Nach sieben oder acht solcher Manöver haben wir wieder festes Geröll unter den Sohlen und machen uns daran, mittels GPS im stockdichten Nebel unsere Ski zu suchen (und auf Anhieb zu finden). Mit den Ski an den Füßen „schwingen“ wir, durch dichte Wolken vor Zuschauerblicken geschützt, in kombinierter Pflug/Seitrutschtechnik über weite, offene Hänge zu den Botschki Containern. Eigentlich wollten wir gleich weiter ins Tal, aber erstens freuen wir uns auf die erste richtige Rast seit dem Frühstück und zweitens sind die Botschki Container im Unterschied zu unserem Hotel wenigstens beheizt.
Tatsächlich haben wir das Glück, den letzten halbwegs vernünftigen „Schönwettertag“ erwischt zu haben. Stürme, Regen und Schnee sollten alle Bergsteiger in den folgenden Tagen auf den Botschki Containern fest- und von der Skitour zum Elbrus abhalten. Im strömenden Regen feiern wir unseren Gipfel, genießen das Leben im Hotel und freuen uns bereits auf die spannende Rückfahrt nach Mineralnivodi.
Aber das ist eine andere Geschichte.

Das Foto des Tages: Eiskalter Aufstieg zu Europas höchstem Gipfel

Infokasten (Stand 2003):
Beste Zeit: März bis Juni
Reisedauer: 8 bis 14 Tage ab Deutschland
Voraussetzungen: Sehr gute Kondition und sehr gute Skitechnik, Erfahrung im Steigeisengehen.
Ausrüstungstipp: In Terskol und Umgebung gibt es kein Sportgeschäft und auch keine Möglichkeit, defekte Ausrüstung zu ersetzen (Im Winter 2000 war es nicht möglich, einen einfachen Imbus Schlüssel zu organisieren) Wegen der möglichen großen Kälte sollten ausschließlich ausgereifte Produkte und bewährte Ausrüstungsgegenstände mitgeführt werden. Bei größeren Gruppen empfiehlt sich die Mitnahme von Ersatzski und -Stöcken. Besonders wichtig ist auch ein entsprechender Kälteschutz, wie man ihn auch z.B. bei einer Skibesteigung des Mont Blanc mitführen würde
Talort: Terskol, mehrere Hotels
Veranstalter: Hauser – Exkursionen, Amical Alpin, Reisepreis ca. € 1.700,- (nicht mehr aktuell)
Wetter z.B.: http://www.elbrus.org/