Wieder was gelernt 

Navigieren im White Out am Col de Lys

Der 14.04.2018 sollte ein toller Skitag werden, der Wetterbericht war hervorragend und die Lawinenlage günstig.

Doch es kommt alles ganz anders. Die Skitour von der Bergstadion Punta Indren in Italien hinüber in die Schweiz bis nach Zermatt ist ein Klassiker. Wir steigen bei zunächst guter Sicht in Richtung des 4000 Meter hohen Col de Lys, aber bereits nach der Hälfte des Anstiegs ziehen erste Wolkenfetzen auf. Der Wetterbericht, den wir auf dem Handy ständig verfolgen und aktualisieren, bringt nach wie vor nur einige Restwolken, dann zügiges Aufklaren.
Tatsächlich zieht es immer weiter zu, und bald sinkt die Sicht auf wenige Meter. Am Col de Lys, den wir dank alter Spuren und GPS zügig erreichen, beginnt es zudem stark zu schneien. Kleiner Nebeneffekt: Die Spuren der normalerweise viel befahrenen Route verschwinden im Neuschnee und White Out.

Die Abfahrtsroute über den Grenzgletscher, in der Bildmitte die Monte Rosa mit der Doufourspitze (4.634m)

Das könnte spannend werden, denn unser Tagesziel heißt Zermatt.
Immer noch hoffen wir, weiter unten aus den Wolken zu kommen und auf alte Spuren zu treffen.
Wir sind in der Gruppe zwei Bergführer und nehmen unsere Gäste vorsorglich ans Seil. Mit GPS und Digitalkarten navigieren wir uns im Schritttempo durch die Gletscherbrüche.

Geschafft: Blick zurück auf den wolkenverhangenen Grenzgletscher – das Seil kann wieder in den Rucksack

Tatsächlich erreichen wir ohne weitere Vorkommnisse und ohne größere Probleme den unteren, flachen Gornergletscher. Hier kommen wir unter der Wolkendecke und treffen auf die pistenartig eingefahrene Route von der Monte Rosa Hütte.

Und die Moral von der Geschicht: Im Nachhinein hört sich die Kurzfassung dieses Skitourentages harmlos an – aber ohne die Notwendige Erfahrung hätte der Tag auch böse enden können.
Du brauchst auch bei besten Verhältnissen und Vorhersagen ein gutes Backup. Wetterdaten können trügerisch sein.
Trotz guter Ausrüstung bist du in solch einer Situation auf dich allein gestellt und in einem Notfall darfst du nicht auf Hilfe von außen hoffen. Mit dieser Grundeinstellung solltest du jede Tour unternehmen, damit auch im Falle eines Falles genügend Spielraum für eine sichere Rückkehr ins Tal gewährleistet ist. Und nicht zu vergessen: die beste Ausrüstung nutzt dir nichts, wenn du sie in einer extremen Situation nicht routiniert und fehlerfrei anwenden kannst.

Noch scheint die Sonne…

(Veröffentlicht von Gerhard Pfeil im Spiegel, Februar 2025)